Montag, Mai 30, 2005

27. September

Durch die günstige Lage unseres Zeltplatzes haben wir schon am Morgen Sonne – das lob’ ich mir! Das entschädigt für den ersten unschönen Anblick dieses Morgens: Florian und Lukas liegen wie zwei feiste, feuchte Maden hinter ihrem (wenigstens nicht meinem) Zelt. Wegen der Sterne, sagen die zwei falschen Fuffziger, aber ich hoffe insgeheim, dass den Schafen nichts passiert ist...


Am Campingplatz von Caorle. Foto: MNK

Zur Sonne passend gibt es Milchreis zum Frühstück, ich esse für drei; natürlich um mich für die kommenden Anstrengungen zu rüsten. Überhaupt scheine ich die einzige zu sein, die sich Maxens Anweisung „Tuat´s Depot-Essen!“ zu Herzen genommen hat, während sich zum Beispiel Josef jeden Tag ein neues Loch im Gürtel bohren muss. Heute musste erstmals ein Schaf für uns sein Leben opfern. Viele Gruppenmitglieder waren betroffen, als sie den Kampf des seinen Tod wohl vorausahnenden Tieres mitansehen mussten! Dennoch waren nach dem kollektiven Verzehr des Kadavers alle so begeistert, dass angedacht wurde, Mingma eine Aufenthaltsgenehmigung zu besorgen. Ich alleine war mir sicher, dass am heutigen Tag die Engerl im Himmel sehr geweint haben.


Foto: MNK


Foto: MNK


Foto: MNK


Foto: MNK


Vorne Mingma, Spitzenkoch im Expeditioskader; links Pasang, Chefentertainer. Foto: MNK

Nachdem wir heute auf etwa 3700m zelten, legen wir morgen einen Akklimatisationsrasttag ein. Bis jetzt spüre ich die Höhe noch kaum, ich penne jede Nacht mit kurzen Unterbrechungen von 21 bis 6 Uhr, habe kein Kopfweh und fürchte mich wie oben erwähnt vor meinem Appetit. Das liegt sicher am langsamen Aufstieg. Ich genieße das sehr, weil man immer schauen, fotografieren und ratschen kann. Wenn die Nepalesen bloß nicht immer Sachen sagen würden, die nicht im schlauen Kauderwelschbuch stehen, und versuchen würden, mir an einem Tag ca. 5000 neue Vokabel beizubringen! Ich lasse ihnen dann als Revanche immer ganz ausgefuchste Dialektwendungen mit möglichst vielen „ö“ und „ch“ sagen.
Der heutige Lagerplatz ist sicher der schönste bisher, wir liegen auf einer almähnlichen Wiese in einiger Entfernung zum nächsten Ort (weswegen heute auch erstmals die lieben Kinderlein ausbleiben). Die Landschaft ist schon ein wenig karger, man glaubt zu ahnen, wie es auf der anderen Seite aussehen wird.


Foto: MNK

Jeden Abend kann ich hier meines Amtes als Abt Wickerl walten und die Botschaft der „Hundstage“ unter das Volk bringen, wobei mich meine Adepten Florian und Lukas vorbildlich unterstützen – der Lucky-Opa wäre stolz auf mich (während an dieser Stelle meine Schwestern, die viel unter meiner Hundstagsphilie zu leiden haben, froh sein werden, nicht mitgefahren zu sein). Bald werden auch alle anderen Teilnehmer und Innen die zehn erotischsten TV-Moderatorinnen kennen. Josef wiederum kennt den Hader noch auswendiger als ich – es herrscht also gar eitel Wonne auf dem Unterhaltungssektor.

Sonntag, Mai 29, 2005

28. September: Rasttag und andere Freuden

So ein Rasttag kann schon was. Es liegt eine sehr harmonische Stimmung über dem ganzen Geschehen; jeder kramurlt ein wenig herum, wäscht sich und seine Sachen in einem der kleinen Bäche der Umgebung (hoffentlich kippen die jetzt nicht!), plauscht, liest, schreibt oder marschiert. Leider war auch Gelegenheit zum Gstießenjagen – innerhalb zweier Stunden war mein Erbteil verspielt. Die großmütigen Gewinner bestehen jedoch nicht auf der Auszahlung (ob mein bitterliches Greinen dies bewirkte?) und lassen sich mit einer Hopfenkaltschale in Purang abspeisen (jetzt, viele Monate danach, muss ich feststellen, dass diese Spielschuld immer noch offen ist!).
Nachdem mich Florian bereits am Vormittag gefragt hat, ob ich leicht jetzt auch endlich mein Haar gewaschen hätte, sehe ich es ein und gehe wirklich. Der frischgewaschene Flausch brachte das Lästermaul vorerst zum Verstummen, zumal ich ihn zuerst vorm eigenen Zelt kehren hieß: Lukas behandelt sein Haar mit Yakbutter! Und letzte Nacht hätte er ihn mir überhaupt ob dessen olfaktorischer Fuß-Misere bald ins Zelt gelegt. Das war übrigens der erbaulichste Dialog bisher: „Ma, Lukas, des giiiibt´s jo ned wia deine Sockn stinkn!“ „Ma, host recht! Wääääääh!“ Dann fiel noch das Wort „Schlierbacher“, bevor Abhilfe geschaffen wurde.
Am Nachmittag ließ ich mich von den beiden zu einer Tour auf den uns gegenüberliegenden Hügel überreden, schon alleine um Mutter und Vater Gahleitner wenigstens einen kleinen Moment der Ruhe zu gönnen. Oben auf dem Kamm entlohnte die Aussicht für das nicht unbeschwerliche Marschieren – immerhin befindet man sich dort auf über 4000m (erstmals hat Florians Höhenmesser den Dienst aufgesagt – Max hat uns übrigens den schönen Begriff „Zivilisationsmüll“ für solche Gadgets geschenkt), und ich war laufend damit beschäftigt gewesen, den Buam nicht zu erkennen zu geben, dass sie mir jeden Moment auf und davon steigen hätten können. Beim Abstieg führten wir eher unfreiwillig das Experiment durch, ob und wie Yaks auf Rot reagieren, da Florian seinen knallroten Janker trug. Man kann sagen, dass man uns zweifelsohne bemerkt hat, dass jedoch der Angriff ausblieb. Nebeneffekt war eine Steigerung der Leistungsfähigkeit bei der Bewältigung des Aufstiegs zum Lagerplatz.


Foto: MNK


Foto: MNK


Foto: MNK


Foto: MNK


Foto: MNK


Foto: MNK

Der heutige Nachmittagstee, zu dem es normalerweise trockene Ananaskeksi und eine geopolitische Fragestunde gibt (Max drohte uns wiederholt mit einem Test am Ende der Reise, sodass wir alle immer eifrig mitnotierten), artete zu einem veritablen Geburtstagskränzchen aus, das im Nachhinein auch die Existenz der Rotweinflaschen im Reisegepäck erklärte. Champagner, Rotwein und auch eine Linzer Torte wurden hervorgezaubert. Letztere wurde gegen einen Kuchen Mingmas eingetauscht (wie er sowas fernab der Zivilisation zu Stande bringt, bleibt mir trotz Erklärung ein Rätsel), auf dem in Schokoschrift „Happy Birthday Andi und Sushi!“ zu lesen war. Den Namen wird sie sicher nicht mehr los. Im Laufe dieses Kuchenschmauses wurde schließlich eine Verfestigung der Gruppenbande manifest: Thomas hat zusammen mit meinem Onkel Herbert an einem Buch über die Gramastettner Andachtsstätten gearbeitet, während Karl und Andi W. erst heute draufgekommen sind, dass sie einst einen Aktmalkurs zusammen besucht haben. Florian und Lukas haben aufgrund der vielen Tagesfreizeit ein lustiges Spiel ersonnen: die Gesprächszerstörung. Das geht so: Äußert einer der beiden irgendeinen Satz, antwortet der andere mit „Na!“, worauf der erste „Doch!“ erwidert – und so ad nauseam. Leider habe ich mich hinreißen lassen und ihnen – in der irrigen Hoffnung, sie würden mit dieser Information verantwortungsbewusst umgehen – meine Lieblingsgesprächszerstörer verraten. Doch welch ein Fehler! Wenn man zu ihnen jetzt spricht, erntet man entweder ein „Na!“, ein künstliches Gähnen, ein „Wüüst drüwa redn?“ oder ein „Des is des wos duuuuu sogst!“ Ich sehe es ihnen an, dass sie gerne wieder an unseren Gesprächen teilnehmen würden, doch zu stark hat die Gesprächszerstörung von ihnen Besitz ergriffen. Am Abend hat es angefangen zu regnen, weswegen Visionen von nasskalten Schlafsäcken in mir aufzusteigen begannen. Aber besser als jede Fantasie waren jene Schwänke einer früheren Trekkingreise, die Thomas zu berichten hatte: Eingeweicht bis auf die Haut, kalt und – tätäää! – Durchfall! Da hüpft einem das Herz umso freudiger, wenn der Regen wieder aufhört und der Mond so tut, als wär’ nichts gewesen.


Foto: MNK

Samstag, Mai 28, 2005

29. September: Purang (Tibet)


Pemba, der Küchen-Sous-Chef. Foto: MNK

Beim Frühstück stellt Josef fest, dass er nie geglaubt hat, einmal zu Fuß nach China zu kommen – und doch wird ihm dies heute noch widerfahren.
Vom Lagerplatz aus mussten wir heute etwa 650 Höhenmeter bis zum Nara-La schaffen („La“ heißt „Pass“, für meine wissbegierigen jungen Leser!), bevor wir nach Tibet einreisen konnten. Das Erreichen des Passes wurde durch (leider z.T. schon etwas stacheliges) Gipfelschmusen gewürdigt, dem auch unsere Nepalesen zum Opfer fielen. Hoffentlich haben die keinen Schaden fürs Leben erlitten!


Am Nara La. Foto: MNK


Blick vom Nara La nach Tibet. Foto: MNK

Von oben konnte man zum ersten Mal ins gelobte Land schauen: viel Himmel, viele Wolken, viele Steine, viele Berge – überhaupt viel Landschaft also.
Ich kann im Nachhinein kaum sagen, worauf ich lieber verzichtet hätte: auf den Anstieg zum Pass oder auf den anschließenden Abstieg (bitte ca. 1000 Höhenmeter!) auf mächtigen Geröllhalden. Und dabei haben sich meine Knie schon für den gestrigen Abstieg bedankt. Ich halte mich schadlos, indem ich Pasang einrede, „Geh scheißn, Oida!“ wäre eine sehr respektvolle österreichische Anrede für einen jüngeren Freund und deswegen wie geschaffen für Lukas. Da er eben so wissbegierig wie höflich ist, lässt er sich diese Gelegenheit nicht entgehen und wendet die neue Phrase gerne sofort an. Als ihn zu seinem Erstaunen Lukas ein wenig herposcht, ist das Knieweh vergessen.


Foto: MNK


Sogar den Yaks hängt die Zunger heraus. Foto: MNK


Foto: MNK

Der folgende Marsch entlang des Karnali und über eine lange, dramatisch schwingende Hängebrücke war dann sehr schön, nur beim letzten Anstieg von Hilsa (Nepal) nach Sher (Tibet) hunzte es mich schon ein wenig.


Bildmitte: Drei Esel wagen einen Ausbruchsversuch in Richtung Tibet, bleiben aber leider auf der Hängebrücke stecken. Foto: MNK


Eine halbe Stunde später drehen sie wieder um. Vielleicht schaffen sie es das nächste Mal. Foto: MNK

Jenseits der Grenze lauerten andere Zustände bzw. ein strengeres Regiment. Nachdem ein seeeehr wichtiger Desinfekteur unsere Schuhsohlen von all den bösen nepalesischen Bakterien (die europäischen haben wir im Flugzeug gelassen, wir erinnern uns) befreit hatte, wurden wir mit dem mehrmals wiederholten Hinweis darauf, dass das Fotografieren des Militärpostens bei Strafe verboten sei, in eine sehr geschmackvoll eingerichtete Speise-/Wartehalle gelotst, die aussah wie ein altes Chinarestaurant in Oberloisdorf. An der Wand prangte ein unend verkitschtes Potala-Bild, auf dem der Mohn dort erblühte, wo in Wahrheit wahrscheinlich das Rotlichtviertel oder der Verschubbahnhof von den Chinesen hingepflastert worden ist. An den Boden war eine chemieblaue PVC-Wohnlandschaft geschraubt, auf der kurz zuvor eine wohl sehr fetthaltige und spritzige Mahlzeit eingenommen worden war.
Nach einiger Zeit traf der Fuhrpark mit zünftigem Getöse ein; die Yaks haben ausgedient, während sich deren Besitzer zum Geldvertun mit uns nach Purang mitnehmen lassen. Bei der folgenden Jeepfahrt (ich habe im Übrigen mit Gabi, Christa, Josef, Norbu und Pasang eine für die restliche Fahrt bestehen bleibende Fahr- und Schicksalsgemeinschaft gegründet) haben wir wohl schon einen Vorgeschmack auf die lange Fahrt zurück nach Kathmandu bekommen. Mir ist wahrscheinlich deswegen nicht schlecht geworden, weil der Körper einfach unmittelbar mitbekommt, dass mit ihm gefahren wird (ich wage gar nicht einzuschlafen, da mir sicher durch das wilde Schütteln der Kopf abgerissen werden wird, sobald die Körperspannung nachlässt). Dennoch habe ich als Talisman von Martina einen Reisespeibkaugummi bekommen, der mich beschützen soll. Pasang, der mir meinen gar lustigen Streich verziehen hat, hat mir selbstlos angeboten, vom Kofferraum aus meinen arg gebeutelten Kopf zu halten – vielleicht komme ich darauf zurück.
Purang (Taklakot) ist nicht Shangri-La, das wird bald deutlich. Etwaigen Touristenklischees wird sofort die Realität vor den Latz geknallt. Im offiziellen Guesthouse, das den Charme des Bahnhofs Wien-Mitte – ach, was red ich, der ist viel zu wenig erdig-dreckig – verströmt, werden wir von zwei sehr imposanten Militärs registriert/kontrolliert. Während wir darauf warten, einzeln und bitte der Reihenfolge auf der Liste nach vor die Herren zu treten, werden Passfotos angeschaut und ausgelacht. Dabei bittet mich jeder der Nepalesen, doch mein Haar wieder wachsen zu lassen. Nachdem wir für harmlos befunden worden sind, bekommen wir die Räume zugeteilt. Ich darf mit Andi S. und Sushi eine schon alleine vom Raumangebot her recht komfortable WG bilden, während die anderen mindestens zu fünft hausen. Die Zimmer sind einfachst – Dusche: haha!; Bettwäsche: lieber gleich weg damit; Klo: Das ist eine eigene Geschichte. Man muss den Hof überqueren und dann dem Geruch folgen. Weil die Latrinen selbst schon voll... ach was, ich erspar uns das. Jedenfalls war die Beschaffenheit des Hofes eine entsprechende. Ergötzlich aber war die jeweilige Reaktion der armen Menschen, die es zur Erleichterung drängte beziehungsweise die entsprechenden Erlebnisberichte. „He, üwam Klo hoggalt a Chines mid da Zeitung und plogt si. Da Reis stopft oiso do – drum ham´s a so Schlitzaugn...“ Alle später berichtenden Herren konnten bestätigen, dass der so verunglimpfte unter Obstipation Leidende wohl mit der Zeitung fertig werden würde.
Überhaupt war interessant, wer sich bei uns am Hof so aller herumtrieb. Es wurden Vermutungen geäußert, denen zufolge im Verschlag gleich neben dem Eingang ein Knusperhäuschen eingerichtet sei, denn laufend schlupften dort Leute hinein, darunter auch aufgebrezelte Chinesinnen, ohne dass eine/r je wieder herausgekommen wäre. Ich will das aber eh nicht so genau wissen.


Bahnhof Purang-Mitte. Foto: MNK


Ein Motorrad ist für die drei Kilometer asfaltierter Straße in Purang unerlässlich - zumindest wenn man etwas repräsentieren will wie der Besitzer ganz links... Foto: MNK

Max warnt uns eindringlich davor, auf die Hügel hinter dem Guesthouse zu steigen, um Purang oder die Berge zu fotografieren (Karl schwört übrigens, dass einer davon genau ausschaut wie der große Priel – warum fahr ich dann so weit weg?), denn im April dieses Jahres hat man Österreicher bei eben dieser Gelegenheit verhaftet und in einer tagelangen Fahrt in die Provinzhauptstadt Ali verfrachtet. Dort hat man ihnen dann in den Pass geschrieben, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht nach Tibet einreisen dürfen. Das wird ihnen noch eher wurscht gewesen sein als die fünf unnötig im Polizeiauto verschissenen Tage...
Obwohl kaum einer nicht der Abreise mit positiven Gefühlen entgegensah, ist doch von angenehmen Dingen zu berichten, vom Fußballspielen im Hof etwa, oder vom Abendessen in einer chinesischen Garküche, bei dem unabsichtlich eine ziemliche Menge Bier konsumiert worden ist und bei dem alle mit Stäbchen essen mussten – dementsprechend schaute dann der Tisch aus, aber das ist hier angeblich eh Usus. Angenehm waren auch meine Zimmergenossen, die mir vor dem Schlafengehen noch ein Schnapserl ans Bett getragen haben... Und doch schlief ich sorgenvoll ein; wo würde ich morgen dem Ruf der Natur folgen können? Und warum, wie irgend jemand so treffend bemerkte, kann es hier nicht einen geben, der uns die Füße desinfiziert?

Freitag, Mai 27, 2005

30. September: Manasarovar-See

Florian und Lukas waren letzte Nacht noch leischen; bevor die beiden (angeheitert oder nicht) das mit vier anderen zu teilende Zimmer betraten, hielten sie sich gegenseitig noch an, die darin schon Schlafenden ja nicht aufzuwecken. Zu diesem Zwecke öffneten sie alle Reißverschlüsse und Schuhbänder noch draußen – mit der Folge, dass Florian Lukas (oder umgekehrt?) dann auf ebendiese trat und ihn dadurch zum Fall auf das Bett von Mutter Gahleitner brachte. Wenn zu diesem Zeitpunkt (die beiden Schwerenöter waren natürlich auch noch in lautes Gelächter ausgebrochen) noch irgendjemand geschlafen haben sollte, so wachte er/sie spätestens unsanftest durch das (absichtliche?) Hinunterwerfen einer Alutrinkfalsche auf den Betonboden (!) auf. Eitel berichteten mir die beiden selbst von ihrem groben Unfug. Welch ein Glück für mich, dass mich höchstens ein mal mehr, mal weniger dezentes Herrenschnarchen um den Schlaf brachte. Den mitten in der Nacht stundenlang bellenden Hund habe ich allerdings trotz aller Tierliebe in Gedanken hundertmal verwurschtet.

* * * * *

Wir sind heute Nachmittag am in der Tat juwelenfarbenen heiligen Manasrovar-See angelangt. Wir campen direkt am Ufer; das Rauschen der Wellen und das leise Schnarchen aus einem der Nachbarzelte ergeben eine äußerst (schlaf-)anregende Klangtapete.


Unsere Jeeps. Foto: MNK


Gebetsfahnen auf dem Weg zum Manasarovarsee. Foto: MNK


Der Weg ist weiter/die Jeeps kommen später als man denkt... Foto: MNK


Foto: MNK


Unser Lager am See. Foto: MNK

Wenn ich den Kopf aus dem Zelt stecke, sehe ich den Kailash, wenn ich zurückschaue, das Gurla-Mandatha-Massiv (7730m). Ich sollte gar nicht erst versuchen, die Landschaft hier groß zu beschreiben, das bleibt wohl hinter allem zurück (wahrscheinlich genauso wie alle Fotos).


Kailash und Manasarovarsee. Foto: MNK


Raksastal (der böse Zwilling des Manasarovar). Foto: MNK


Raksastal. Foto: MNK

So sitze ich am Ufer und schaue mir die Augen aus dem Kopf, bis mich der Wind in das Zelt treibt. Ebendieser kann ganz schön kalt daherwehen, weswegen Lukas’ Heldentat, ein Bad im etwa 10° kalten See zu nehmen, von der motivationalen Seite her schwer nachzuempfinden ist. Aber er war fest entschlossen, heute morgen hat er die Hose vor mir heruntergelassen, um mir seine Hawaii-Badehose zu präsentieren (die dann aber leider nicht zum Einsatz gekommen ist).


Lukas büßt für seine Sünden im See. Foto: MNK

Vor ein paar Minuten ist die Sonne untergegangen, ein Schauspiel, das uns für einige Zeit in Bann gehalten hat.


Stupa am Manasarovarsee. Foto: MNK


Der Sonnenunterngang kann was.
Foto: MNK


Emotional mitgenommen muss ich bemerken, dass ich jetzt aber bitte schon einen Appetit hätte (Mingma nennt mich nur mehr Minki „Bog lagyo 24hrs“). ð Taraaa! Hier werden Wünsche wahr! Kaum schreibe ich dies, ertönt der Essensappell!

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Bevor ich mich der laut Max bisher kältesten Nacht anvertraue, muss ich leider noch berichten, dass die bei uns allen feststellbare besinnliche Stimmung gerade nur so lange anhält, als man See & Kailash sehen kann. Beim Essen rutscht das Niveau leider wieder auf die gewohnt niedere Ebene ab, woran stets und maßgeblich Lukas Schuld trägt, ich muss es in der Klarheit sagen. Ich selbst lache immer nur betreten. Glücklicherweise versucht Thomas dessen Ausfälligkeiten immer durch ein wenig Volkskunde auszugleichen, heute durften wir etwa erfahren, woher das Wort „Flohbeutel“ stammt. Getrübt wurde diese Aufmerksamkeit nur durch das Aufkommen eines handfesten Skandals: Er ist 45 und seine Freundin Martina nur 26! Das ist ja arg und kann auf keinen Fall gut gehen! Bald muss ich meinen Finger auf diese Wunde legen und mit den beiden ein Gespräch führen.
Was gibt es noch zu berichten? Wir haben uns heute im See getauft, Lukas firmiert ab heute unter dem schönen Namen „Katzi“, Florian muss sich etwas widerwillig „Resi“ nennen lassen, und ich werde nunmehr „Fuffi“ geheißen (warum auch immer). Mingma, der stadtbekannte Strizi, hat mir heute einen im Angesicht des heiligen Berges gefundenen Stein geschenkt, den er als „Shiva Linga“ bezeichnete – und tatsächlich schaut das Ding recht phallisch aus. Was soll man da sagen!? Ist das sexual harrassment?


Mingma mit Shiva Linga. Foto: MNK


Shiva Linga. Foto: MNK

Unser LKW-Fahrer ist übrigens ein Khampo, die früher als Räuber bekannt waren und generell als kernige Leute gelten („Oiso Buaschn wie wia!“). Er selbst ist zwar eher nicht kernig und schon gar nicht grimmig, dafür trägt er aber einen mords Dolch im Hosenbund, den er hingebungsvoll putzt. Als ich vorgebe, recht verschüchtert zu sein, freut er sich sehr.

Donnerstag, Mai 26, 2005

1. Oktober: Manasarovar-See - Einstieg zur Khora

Oiso ich muss euch sagen, letzte Nacht hab ich goa ned gut geschlafen. Diese Kälte, ich halt sie einfach nicht aus! Das heißt es wär’ schon gegangen, wenn nicht wieder die drei Flohpelze knurrend herumgelaufen wären – am Morgen pennen die drei Pelzdeppen so friedlich vor uns am Ufer als wäre nichts gewesen.


Hund vor Mandatha
Foto: MNK

Da es auch in der Früh recht frisch ist, wird der menschliche Geist erfinderisch – so schaut das modisch sehr ansprechende Ergebnis dann aus (übrigens mein letztes selbstgemachtes Bild der Reise):


Haute Couture auf höchstem Niveau (ca. 4300m).
Foto: MNK

Wir haben heute den See hinter uns gelassen und sind Richtung Kailash gezogen; das heutige Lager (4600m) liegt schon innerhalb der Khora. Auf dem Weg hierher hat sich vor der Besichtigung der Chyu-Gompa (Vogel-Kloster) die Gelegenheit für ein – huurrraa! – warmes Bad geboten. Am Fuß des Gompa-Hügels sprudeln warme Quellen aus dem Boden, über die man ein Glashaus gestülpt hat. Für 20 Yuan darf man dann, züchtig nach Geschlechtern getrennt, pritscheln was das Zeug hält. Wöööööööd.
Kurz vor Darcheng, dem letzten Ort vor unserem Lager, mussten wir uns wieder bei einem Militärposten registrieren lassen. Dort verspeiste ich vor den Augen immens interessierter Buben und Greise mein Lunch-Ei („In-den-Magen-hinein-Nachschauen“ ist eine sehr milde Beschreibung dafür) – als die Nachricht aufkam, dass man hier, mittens in der Pampa, nach Hause telefonieren kann. Hurtig begab ich mich in die Warteschlange. Man müsste das Kaff gesehen haben, um meine Verwunderung über die extrem gute Verbindung nachempfinden zu können. Zu Anfang war es mir noch, als rühre die Verzögerung bei Alois’ Antworten von den 5000 Kilometer Entfernung, dann aber stellte sich heraus, dass der Gute noch gepennt hatte (ein für Samstag Morgen, 7:30 Uhr Ortszeit, legitimes Unterfangen).

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Rund um den Kailash hat jeder Meter eine besondere religiöse bzw. historische Bedeutung, wie während des heutigen Nachmittagsspazierganges klar wurde. In der Nähe des Lagerplatzes (eine riesige Ebene, die im Mai während der Hauptpilgerzeit ein einziges Lager sein soll) kann man nicht nur die Meditationshöhle eines Bön-Zauberers und einen der etlichen noch folgenden „footprints“ Milarepas anschauen, sondern auch den Luftbestattungsfriedhof, auf dem begraben zu werden der Wunsch jedes (Tantra-) Buddhisten ist, denn von dort komme man direkt ins Nirvana. Wenn man dort etwas Physisches zurücklässt, so glauben sie, erlange man im nächsten Leben zumindest eine bessere Inkarnation. Der Ort hat für uns Westler etwas Makabres an sich, das Plateau ist mit Haaren, alten Kleidungsstücken, Knochenresten und Hackebeilen bedeckt. Eine Gruppe Tibeter sitzt neben uns und rastet; etwas weiter unten liegen Hunde, die als Hilfe bei der Bestattung gerne mal für die Geier einspringen – auch diese beiden Aktivitäten werden positiv auf dem Inkarnations-Konto verbucht.
Unterhalb des Friedhofs steht ein großer Masten, an den unzählige Gebetsfahnen gebunden sind, die im Wind knattern: durch das Licht der hinter den Bergen verschwindenden Sonne bisher wohl einer der schönsten Momente dieser Reise – wenn nur der Wind nicht so gegangen wäre, den braucht ja niemand (außer den Gebetsfahnen vielleicht)!

Mittwoch, Mai 25, 2005

2. Oktober: "Ruhe"-Tag am Manasarovarsee

Ich komme gerade von einer (für einen Ruhetag ziemlich ausgiebigen) Wanderung zurück, die uns weit in die sich scheinbar gleich hinter dem Lagerplatz erhebenden Schneehügel hätte führen sollen. Ich wollte schon wenige Minuten nach Marschbeginn die Gamaschen anlegen, aber nach einiger Zeit zeigte sich, dass man sich von der klaren Luft hat täuschen lassen, denn auch nach mindestens zwei Stunden hat man noch keinen Fuß in den Schnee gesetzt, und dann wird auch noch die Luft dünn. Als dann auch noch auf dem endlich erreichten Schnee kein Vorankommen ist, wird’s anstrengend. Dennoch habe ich die Momente, in denen ich in absoluter Stille ganz für mich war, sehr genossen; als ich oben auf der Bergschulter angekommen bin, war auch endlich der Kailash wolkenlos. Umso ärgerlicher, dass genau in diesem Moment die Kamera den Geist aufgibt (war wohl ein buddhistisches Fabrikat) und sicher erst wieder in urbanen Gefilden zu reparieren sein wird. Aaaaaarrrgh! Noch dazu ist es nicht meine, und die Cordi haut mich ohne Grund auch schon so! Ich muss ihr in Kathmandu was Glitzerndes kaufen, dann haut sie vielleicht nicht so fest. Beim Abstieg hatte ich ständig See und Kailash im Blick – 1000 Motive! Hoffentlich machen die anderen gscheite Bilder. Wenigstens kann ich mich jetzt aufs Schauen konzentrieren, muss weniger tragen und kann eine Lektion in Sachen Verlust lernen.
Nachdem ich wohl auf fast 5200m Höhe war und nun entsprechend faule Füße habe, zieht sich der Rückmarsch furchtbar, zumal man das Ziel von Anfang an im Blick hat und sich ihm kaum merklich nähert. Zu allem Überdruss wirkt der höchste Punkt meiner Wanderung lächerlich niedrig, flach und gar nicht weit entfernt, ich kann mich mit meiner Leistung also leider nicht vor den anderen produzieren...


Chhiring und ich vorm Manasarovar.
Foto: Andi S.

Schön war’s aber auf jeden Fall; ich sitze nun im warmen, windgeschützten Zelt, ordne (ob der dünnen Luft kläglich pfausend) mein Zeug und warte auf den Nachmittagstee beziehungsweise die Ankunft der Gruppe, die heute bei der Gössul Gompa war. Der See rauscht, der Wind bauscht und alle rund um mich ruhen. Des gfoit ma.

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Zum heutigen 5 Uhr-Tee hat sich unerwarteter Besuch eingestellt: Ein tibetischer Pilger, der sich in dem nur einige hundert Meter entfernten Kloster einen Sack Yakdung zum Feuermachen besorgt hat, ließ sich auf eine Tasse Tee einladen und ausgiebig bewundern. Neugierig geworden brechen wir zum Gegenbesuch auf. Die Pilgergruppe ist mit Pferden von weit her gereist und hat zum Zweck der Kailashumrundung (Khora) die Einser-Panier, wie Josef so schön festgestellt hat, angelegt; besonders die Frauen klimpern wie Christbäume. Diese Leute entsprechen wohl am ehesten unseren Vorstellungen von „echten“ Tibetern; der Gedanke, dass sie noch nicht das von der chinesischen Regierung vorgesehene Leben führen, ist ein durchaus angenehmer.
Beim Rückweg zum Lager ist Gelegenheit zum Sterngucken; bis zum Aufgang des Mondes kann man sogar die Milchstraße ziemlich deutlich sehen. In der Nacht ist es dank Vollmond so hell, dass man die Stirnlampe nicht wirklich braucht. Der wunderschöne Sternenhimmel entschädigt in der Nacht für die gewaltigen Mühen, die man zur Befreiung aus den Schlafsackschichten auf sich nehmen muss, um dem aufgrund der Höhe leider häufigen Harndrang nachzugeben, und für die Furcht vor den streunenden Hunden, die sich bei Dunkelheit gerne brummend zwischen den Zelten herumtreiben. Als ich zuvor nach dem Abendessen von Coalas Geburtstagseinlage als Sepp Forcher berichtete, huben wie aufs Stichwort im Küchenzelt die Nepalesen an zu singen. Das war so malerisch, dass mir die Idee kam, das „Klingende Österreich“ einmal hierher zu empfehlen – das wär’ doch was für den 25. Dezember! Wäui do im Himalaya, do gibt´s aa a scheene Musi!

Dienstag, Mai 24, 2005

3. Oktober: Khora, erster Tag

Ich sitze gerade im Zelt, das uns heute auf fast schon 5000m aufgestellt wurde, und trage aus gegebenem Anlass erstmals seit ich die Kontrolle über meine Kleidung übernommen habe eine lange Unterflak, die mir Gabi – Lob sei ihr und Dank – hier herauf mitgenommen hat. Unschwer ist zu erkennen, dass wir es heute recht frisch haben, und dass ich bei ein paar Graden plus mehr Spaß an der Sache hätte. Andererseits erhalten auf diese Weise diejenigen Momente des Tages, an denen es nicht kalt ist, etwa die Abendsuppenvertilgung oder die Pausen in den Teezelten, einen schönen Mehrwert. Diese Zelte wirken von außen ziemlich unscheinbar und wenig einladend, entfalten im Inneren aber eine erstaunliche Gemütlichkeit.
Da heute Sonntag ist, mussten wir zuerst ins Kloster (mir ist der Name entfallen, ich erbitte LeserInnenreaktionen!), durften aber anschließend gleich zum Frühschoppen ins Teehaus. Passt. Der folgende Anstieg war nicht besonders anstrengend, dafür war’s aber wie bereits erwähnt recht frisch.
Ich müsste jetzt raten, aus welchem Gestein der Kailash besteht (Granit?), die Felsen an seinem Fuß, an denen wir heute vorbei kamen, waren jedenfalls eine optisch ausnehmend ansprechende Konglomeratformation; so eine schöne Wand würde ich mir mit Bohrhaken versehen 4000m weiter unten und 5000 Kilometer weiter westlich wünschen... Ob es diese profanen Gedanken im Angesicht des heiligen Berges waren, die verhinderten, dass ebendieses Angesicht zu sehen war? Alle zwei Minuten warfen wir hoffnungsvolle Blicke hinauf zum Berg, aber keinen einzigen Augenblick zeigte sich der Gipfel – und das im Wissen, dass an den folgenden Tagen der Kailash sowieso kaum zu sehen sein wird! Ich selbst hätte zwar eh nicht viel fotografieren können (wir erinnern uns schmerzvoll), aber ein Dutzend anderer sehr wohl. Der hartnäckigste darunter war wohl Karl, den selbst ein schiacher Wind kaum von seiner Lauer abbringen konnte. Wir anderen knotzten währenddessen im Teahouse, wo wir von einer Gruppe frenetisch kartenspielender Tibeter auf wohltuende Art und Weise ignoriert wurden.


As good as it gets: Mehr zeigt uns der kailash nicht.
Foto: Gabi

Am Abend machten wir Bekanntschaft mit – ich gebe ihren Namen phonetisch wieder – Krysanschodo, einer unserer YakmanagerInnen. Sie ist alleine durch ihre Größe eine auffallende Erscheinung, freundlich und interessiert (besonders Gabi hat es ihr angetan) – leider funktioniert unsere Unterhaltung nur nonverbal, d.h. sie stößt recht bald an ihre Grenzen.
Da wir nur das Nötigste auf der Khora dabei haben, nehmen wir das Abendessen heute im Schneidersitz ein, was die ganze Sache verkürzt. Zu Beginn der Reise ist es mir noch sehr feudal vorgekommen, dass wir überall unsere Sesserl mitgeschleppt bekommen haben, aber hier zeigt sich schon allein am saftigen Knacken dutzender Knie die Sinnhaftigkeit dieses Accessoires.

Montag, Mai 23, 2005

4. Oktober: Khora, zweiter Tag: Am Dölma La

Heute war der lang erwartete „Gipfel“-Tag (den Gipfel des Kailash darf man ja nicht entweihen), mit dem Dölma-La als höchstem Punkt der Reise (5650m bitte! – dennoch müssen Höhenangaben hier mit Vorsicht genossen werden, denn es herrscht diesbezüglich eine postmoderne Interpretationsfreiheit). Auf dem Weg dorthin kommt man wieder an einem Friedhof vorbei, der ebenfalls (wegen der verbesserten Inkarnationschancen – wir erinnern uns) übersät ist mit Kleidungsstücken. Die Khora sind ja nicht bloß ca. 52 Kilometer öde Hatscherei, vielmehr ist sie gespickt mit spirituellen Aktionsfeldern, um es so auszudrücken. Einmal muss man sich auf den steinernen Reitsattel Milarepas setzen („Happiness of Horse 1“), dann unter Steinen durchkriechen, um zu sehen, wieviele Sünden man mit sich herumträgt, ein andermal kann ein Elterngutbehandel-Fingerloch-Treff-Test absolviert oder auf Milarepas steinernem Pferd geritten werden (“Happiness of Horse 2“). Da wir unterbrochen durch diese spirituellen Aktivitäten sehr, sehr langsam gingen, war der Anstieg keine arge Sache – und wenn, dann hätten dies die schönen Momente oben auf dem Pass mehr als wettgemacht. Wir sind uns alle in den Armen gelegen, hier und da wurde jemand von der Freude übermannt oder – emanzipatorisch ausgedrückt – überfraut und bekam feuchte Augen.


Ein Gartenzwerg am Dölma La.
Foto: Andi S.


SoSoSoSo! Seltsame Kreaturen blicken auf dich.
Fotos: Max S.

Es fällt schwer, die Stimmung zu beschreiben; interessanterweise geht das bei den anstrengenden Passagen immer leichter.
So zum Beispiel beim Abstieg. Schon oben am Pass hatte es zu schneien begonnen, später fiel der Schnee dichter und dank des Windes direkt ins Gesicht. Um den Kopfschmerzen zu entgehen, stiegen wir schnell ab, was mir ziemlich auf den Magen schlug. Was für ein Gegensatz zur Euphorie vor ein, zwei Stunden! In einem winzigen, nur durch eine dünne Plane vor dem Schnee geschützten Steingeviert drängten wir uns zusammen und begannen nach einer Zeit recht kläglich zu frieren, sodass wir schließlich ganz froh waren, wieder aufbrechen zu können, auch wenn es draußen immer noch ziemlich dicht schneite. Als mir endlich wieder ein wenig warm wurde, tauchte das Lager auf (ich weiß nicht, wie Tsering die verschneiten Zelte gefunden hat) – in diesem Moment riss die Wolkendecke auf und gab den Blick auf die verschneiten Berge ringsherum frei. Eine Traumaussicht. Leider klebte der Schnee nicht, also mussten wir aufs Schneemannbauen verzichten, dafür ging sich eine kleine Schneeballschlacht aus, die ich provozierte, indem ich Chhiring mitteilte, meines Erachtens würfe er wie ein Mädchen.
Gerade habe ich entdecken müssen, dass mir eine Trinkflasche, die ich als Wärmflasche zweckentfremdet habe, im Schlafsack ausgeronnen ist. Momentan ist mir vor lauter Fluchen und Aufwischen noch warm, aber für heute hat uns Max die endgültig kälteste Nacht angekündigt – die vierte kälteste mittlerweile, aber heute glaube ich, dass er Recht behalten wird. Wie war das noch mal mit Rhinpoche Milarepa? Laut Sage konnte der so intensiv meditieren, dass er selbst im tibetischen Winter nicht fror...

Sonntag, Mai 22, 2005

5. Oktober: Khora, dritter Tag

So grausig kalt die Nacht, so klar und wunderschön der Morgen. Alle schwärmen aus, um möglichst bald das Gesicht in die Sonne halten zu können und um die Zehen in den steifgefrorenen Schuhen wieder in Funktion zu bringen. Vorerst liegt noch überall Schnee, aber die Sonne wird ihm schon noch einheizen. Am heutigen Tag werden wir die Umrundung beenden und damit hoffentlich von allen Sünden befreit sein – laut Lukas auch von den kommenden (hätte er gern).


Die Teilnehmer an der Hansi-Hinterseer-Fanwanderung.
Foto: Max S.

Heute müssen wir nur mehr bergab ins Tal, da kann man auf dem Weg gut rasten und endlich einmal Buttertee probieren. Jeder, der schon einmal mit mir gespeist hat, wird erkannt haben, dass mein Appetit alles überwindet – aber bei Tsampa und Buttertee kann sogar ich „nein“ zum Nachschlag sagen, ebenso wie mittlerweile bei den jeden Tag zum Tee servierten und oft in perfider Weise in die Pancakes eingebackenen Ananaskekse (mittlerweile auch „Pine-in-the-ass-apple“-Keksi genannt).
Der Weg zurück war wirklich sehr, sehr schön, was zu einem Gutteil auch an der wohltätig glosenden Sonne lag. Wann wird’s wohl daheim das nächste Mal so warm sein? Das frage ich mich, meine Damen und Herren. Aber obwohl ich extra langsam dahinschlenderte, war der Weg irgendwann doch zu Ende. An diesem Ende warteten bärtige bzw. zerrupfte Gestalten, die mich freudestrahlend herzten und anschließend mittels Jeep wieder ans Ufer des Manasrovar-Sees verfrachteten – diesmal aber an das Nordost-Ende. Wir haben ja bis jetzt ein paar schöne Flecken mit unseren Zelten belagert, aber dieser sticht noch einmal heraus: Rechts grüßt der Kailash, links die Gurla Mandatha, in der Mitte geht postkartengerecht die Sonne unter. Hurra! Vor ein paar Stunden bin ich mit den Gahli Bros. und einigen Dosen Bier zum Ufer gewandert. Dort sind wir lange gesessen und haben allerlei Albernheiten besprochen; wahrscheinlich braucht man das als Ausgleich zur erdrückend schönen Kulisse. Beim Abendessen erzählt Lukas dann allen, ich hätte willentlich einen Ziegenbock zu mir „attrahiert“ um ihn zu molestieren – daraus wurde hoffentlich allen seine niedere Gesinnung ersichtlich. Oder sammelt er gar wieder Sünden, um eine Wiederholung der Khora notwendig zu machen?
Die Gegend wird mir auf jeden Fall fehlen – trotz der untrennbar dazugehörenden Kälte. Indische Pilger brauchen übrigens nicht im Zelt schlafen, weil es ihnen zu kalt ist – aber dass ich mit zwei Wärmflaschen (übrigens: hören Resi & Katzi auf „zwei Wärmflaschen“...) im münkelnden Schlafsack hausen muss, das interessiert niemanden. Außer Dich, liebes Tagebuch.

Samstag, Mai 21, 2005

6. Oktober: Manasarovar-See - Erster Tag der Rückreise

Den ersten Fahrtag haben wir hinter uns; 9 Stunden Fahrt auf holpriger Piste sind zwar nicht ohne, es gibt aber Schlimmeres (alle kältesten Nächte zum Beispiel, aber ich hör schon auf!). Wir haben dabei den Manasrovar-See endgültig hinter uns gelassen, was leichter gefallen wäre, hätten sich auch heute Kailash und Gurla Mandatha nicht so prächtig im Licht der aufgehenden Sonne präsentiert. Etwa 100 Bilder wurden bei dieser Gelegenheit verknallt – kein Wunder, dass Florian schnorren muss! „HellohellohelloSlidefilmPlease!“ Ich sage das auf keinen Fall deswegen, weil man besser mich fotografiert hätte, denn mein Haar ist nach tagelangem fast ununterbrochenem Haubentragen gar unschön anzusehen.
Am Morgen war es noch so frisch, dass ich zum Aufwärmen etwas laufen wollte, nach nicht einmal 100 Metern ging ich jedoch ein wie ein täglich gegossener Kaktus. Vielleicht lag das auch an der GTI-Treffen-Atmosphäre, die unsere Fahrer durch halbstündiges Motorenaufjaulenlassen generierten.
Umso gemütlicher war’s dann im Jeep, v.a. auch dank der brennguten Musik, die der Fahrer auftischte. Ebendort begrüßt ein Mann eine Frau fröhlich mit „Hallohallo Gurke!“, sie antwortet mit „Hallohallo Wolke!“. Dazu gab es eine argumentativ reichhaltige Diskussion mit Josef, die sich um die wichtige Frage, ob es hier Windhosen gebe (m.E. ja) bzw. ob der an uns vorüberziehende See größer als der Neusiedlersee sei (s.E. ja), drehte.
Dass so ein Yak imposant ausschaut, eine Menge tragen kann und nicht friert, hat sich schon erwiesen, dass Frau Yak aber ein fein ziegerlndes Joghurt von sich gibt, war ein schönes Novum des heutigen Tages. In einem Teehaus in Samsang wurde diese Köstlichkeit kredenzt. Ebendort konnte ich noch einmal als Edith Klinger des Himalaya einschreiten und einen Hund mit Dackellähmung vor den groben Späßen eines gar bösen Mannes bewahren.
Die Landschaft ist nach wie vor wunderschön; dank der Pannenanfälligkeit der Fahrzeuge haben wir manchmal lange Zeit zur Betrachtung. Aufgrund einer solchen Panne durfte ich mir heute den Sitz mit Gowa teilen, der es aus lauter Schüchternheit vorzog, schlafend dem Fahrer statt mir in den Arm zu fallen. Schade auch, dass ich meinen Platz im Auto für die Zeltaufbauer räumen musste, ich hätte gern noch ein paar Mal „Hallohallo Gurke!“ gehört.
Heute schlafen wir am Ufer eines Arms des Tsangpo/Brahmaputra, ich habe aber der Umgebung noch kaum einen Blick geschenkt, da mich ein fieser Wind ins Zelt geweht hat. Anlässlich einer vollen Blase wird dies aber nun nachgeholt.

* * * * * * *

Die Gegend ist schön, aber eben windig und gaaanz stark frequentiert, gerade ist schon der vierte LKW an diesem Abend vorbei gekommen.
Zum Tee hatten wir heute Gäste: zwei Deutsche, die heute Morgen ihre Fahrräder auf den LKW geschupft haben, um sich den langen Weg nach Lhasa ein wenig abzukürzen. Die zwei sind recht nett, haben aber auch einen kleinen Poscher, denn wer rennt/radelt schon auf Zeit um den Kailash? Bei allem Respekt vor der sportlichen Leistung: Das riecht schon streng nach Quarter-Life-Crisis. Als uns Max aber von den Riesenmengen berichtete, die die beiden im Küchenzelt vertilgt hatten, überlegte ich doch kurz, bei ihnen zu essen...
Heute habe ich endlich Gelegenheit gefunden, mit Thomas und Martina ein ernstes Gespräch wegen ihres doch skandalösen Altersunterschiedes zu führen. Die zwei wirkten überraschend einsichtig. „Wisst ihr, 20! Jahre! Ich meine, 17½, das geht gerade noch, aber 20! Seht das doch ein!“ „Wennst maanst...“ Spät aber doch musste ich feststellen, dass die beiden die einzigen waren, die nicht mitbekommen hatten, dass ich ja eh auch in einer so skandalösen Beziehung lebe. Danke noch einmal an dieser Stelle, dass ihr mir nicht gleich eine geposcht habt!

Freitag, Mai 20, 2005

7. Oktober: - Sagar

Diese Nacht habe ich so fest geschlafen, dass sich die Nachbarn über mein Schnarchen beschwerten – und wer? Meine WG-Kollegen aus Purang! Wer im Zelt schnarcht, soll nicht mit ... äh... nein, das haut nicht hin. Aber Frechheit! Menschlich bin ich enttäuscht. Nach dieser Unbill musste ich auch noch entdecken, dass sich in den letzten Tagen unter meiner Haube eine Hitlerfrisur gebildet hatte, ich musste es also umgehend entfetten. Welch ein Schreck für eine gelernte Gutmenschin!
Die Morgengestaltung zieht sich jetzt jedes Mal ein wenig; wir stehen nun brav um 6 Uhr auf, fahren aber erst um 8 Uhr 45 los – was machen in der Zwischenzeit? Sozialpsychologische Studien über die Lugner City oder die Kleidungspräferenzen von Ethnologie-StudentInnen sind auch nicht das Gelbe vom Ei. Und wenn es dann endlich losgeht, steht man nach 30 Kilometern wieder in irgendeinem Nest, weil keiner der anderen Jeeps nachgekommen ist. Zwar sind die Fahrer beim Reparieren grenzgenial, die Autos sind jedoch multimorbid bzw. moribund, wenn man mich fragt. Deswegen sind wir heute auch nicht ganz so weit gekommen wie geplant, ich hoffe aber stark, dass ich heute die 14. und letzte Nacht im Schlafsack verbringen muss. Morgen steht jedenfalls die längste Etappe an, i gfreiiiii mi. Es wird auf jeden Fall Zeit, dass wir weiter kommen, denn vieles geht aus dem Leim – nicht nur ich, die ich nicht mehr marschiere und den ganzen Tag auf meinem Hintern ruhe, sondern auch das Zelt.
Gibt’s sonst noch was? Wenig; wir sind heute am Annapurnamassiv (wenn’s wahr ist) vorbei gekommen, haben den Josef 25 Kilometer zur Rückenschonung zu Fuß gehen lassen und im Angesicht der großen Vorsitzenden (Deng Xiaoping schaute übrigens, wie ich auf diesem Plakat bemerken musste, meiner Oma selig immens ähnlich) amerikanisches Bier getrunken.

Donnerstag, Mai 19, 2005

8. Oktober: Sagar - Nyalam

Freitag, 8.10.; Sagar - Nyalam
Der heutige Tag war in der Tat der anstrengendste. Die Fähre bei Saga war durch irgendein Brückenbauungetüm belegt, das erst mit kollektiven „Hossa!“-Motivationsschreien bzw. von Menschenhand hinaufgestemmt werden musste. Erst drüben kam dann irgendjemandem die Idee, das Ganze mit Maschinenkraft zu erledigen. Die Überfahrt war dann sehr erbauend, auch oder gerade weil Florian beim vorgetäuschten Versuch, uns über den Fluss nachzuspringen, beinahe wirklich wassern gegangen wäre.
Anstatt am anderen Ufer auf die anderen Jeeps zu warten, beschloss unser Fahrer, nicht mehr länger von den anderen Jeeps versaugt werden zu wollen (zumal jetzt sogar der Pensionistenhubschrauber repariert ist), und gab Gas. Als besonders intelligent wage ich im Nachhinein dieses Handeln nicht zu erachten, zumal wir schon am ersten der fünf heute zu überwindenden Pässe allein auf weiter Flur dastanden – und wenn ich „weit“ sage, dann meine ich das auch; wir erinnern uns an die exzellente Fernsicht in Tibet. Schließlich überkommt den Fahrer Unruhe und er versucht, sein Vorpreschen zu Fuß wieder gut zu machen. Bald verschwindet er hinter der letzten Kurve; dann tut sich länger nichts; ich muss aus Langeweile und natürlich wegen der zehrenden Höhenluft die Samosas aus allen verfügbaren Lunchpaketen vertilgen. Schließlich kommen alle zusammen daher, es hat mindestens einen Kabelbrand gegeben, der einfach durch Herauszwicken der betroffenen Stellen repariert wurde. Wir nehmen wieder den uns angestammten Platz als Letzte ein. Es geht über ebenso sandige wie steile Pisten. Mitten in der ärgsten Schräglage blieb der Jeep stehen, gerade als ich mich gefragt hatte, was wohl passieren würde, wenn wir hier stehen bleiben. Fluchtartig müssen wir aus dem Auto, dann quält es sich langsam und unter Verlust von Tankinhalt hinauf. Pfffffffffuh. Und das wirklich Arge an der Sache: Niemand hätte was mitbekommen! Wir hätten Stunden unter dem Auto begraben daliegen können! Das werde ich Professor Rainald Hübelt berichten, na warte.
Nichts zu bemäkeln gibt’s dafür auch heute an der Landschaft, besonders nicht über den Salzsee mit der Shisha Pangma (ein – ja! – 8000er) im Hintergrund. Max macht uns mit der Ankündigung, man habe vom letzten und höchsten Pass aus eine noch viel schönere Aussicht, den (in meinem Fall immer noch Samosas kauenden) Mund wässrig.
Nach einer kurzen Bierpause in einer kleinen Kate (in der die Leute wirklich überwintern, kaum vorstellbar) befinden wir uns natürlich wieder an letzter Stelle, als zischend und flatternd der Reifen den Geist aufgibt. Wieder müssen wir alle raus in den Wind. Während ich mich noch frage, wo wohl das Reserverad versteckt sei, pflückt der Fahrer den Reifen von den Felgen und beginnt ihn zu flicken. Das geht zwar verhältnismäßig schnell, wirft uns aber noch weiter zurück (interessant war aus diesem Grund die Aufforderung des Fahrers an Norbu, den anderen geschwind zu Fuß nachzugehen). Irgendwo warten dann zwei Jeeps auf uns. Zurückfahren war nicht so ganz das ihre. Spät aber doch dürfen wir ab jetzt im Konvoi fahren – was sich schon eine halbe Stunde bezahlt macht, als unser Auto endgültig absäuft. Wir werden auf die restlichen Jeeps verteilt. Drei Leute müssen in der anbrechenden Dunkelheit zurück bleiben; Pasang habe ich auch schon einmal fröhlicher gesehen.
Als wir endlich losfahren, ist es schon dumper, die Shisha Pangma können wir uns aufmalen. Und doch, trotz Finsternis, beengten Sitzverhältnissen, kalter Zugluft und stinkendem Radio kommt bald so etwas wie Gemütlichkeit auf – wenn nur das schlechte Gewissen wegen der drei Zurückgebliebenen nicht wäre! Wir fahren eine Weile bergauf, bis wir den letzten Pass (ca. 5200m) erreichen. Von hier an geht’s bergab, und zwar fast bis Kathmandu. Nach einer weiteren Stunde taucht nach einer scharfen Rechtskurve wie eine Fata Morgana Nyalam auf, unser Ziel. Asphalt! Straßenlaternen! Aufkeimende Urbanität! Warum aber der zweite Jeep wieder nicht da ist, das erklär mir mal einer.
Um es nicht weiter spannend zu machen: Alle, alle haben den Weg nach Nyalam gefunden, und ich dazu noch Familienanschluss bei den Gahleitners. Mingma hat uns zum Abschluss ein ziemliches Festessen gezaubert, glücklich essen wir Kuchen und trinken Bier (ja ich weiß, die Kombination ist wieeederlich). Erstmals seit Purang darf ich dann wieder in einem Bett schlafen. Vor lauter Freude über dieses Ereignis überhöre ich alles, sowohl die Mäuse, die in allen Zimmern ziemlich gefuhrwerkt haben müssen, als auch die ubiquitären kläffenden Tölen. Wen kümmert die Fauna, wenn man auf einer MATRATZE bei Plusgraden schlafen kann?

Mittwoch, Mai 18, 2005

9. Oktober: Nyalam - Kathmandu

Bei seeeeehr frühem Tageslicht betrachtet gibt Nyalam doch weniger her als gestern noch geglaubt, sehr schön aber das Schild „Whole Sale Marbef“ am Supermarkt. Man ist schnell wieder draußen und auf dem Weg in Richtung Grenze. Der Grenzübergang Zhangmu/Kodari ist der Haupthandelsweg zwischen Nepal und Tibet beziehungsweise überhaupt der einzige Weg, auf dem man die Grenze mit Auto/LKW überschreiten kann. Man darf sich jetzt aber keine Straße vorstellen, schon gar keine asphaltierte, sondern eine kühn in eine beeindruckende Schlucht hineingehauene Schotterstraße, kaum zweispurig und in der Regenzeit ständig von Murenabgängen bedroht.
Schon kurz nach Nyalam beginnt die Vegetation sich zu verändern; der Übergang von tibetischem Hochland zu subtropischem Bergwald ist unheimlich gach. Seit ein paar Bambusstauden in der Nähe von Purang haben wir eine Woche lang kaum andere Vegetation als höchstens kniehohe Grasbüschel gesehen (Tibet ist ja in der Tat eine Hochwüste samt gelegentlicher Sanddünen), jetzt haut uns das satte Grün des Waldes schier das Aug ein. Zu dieser Reizüberflutung gesellt sich die Wahrnehmung der Steilheit, mit der es von der Straße zum Fluss hinunter geht (wir haben uns, offen gesagt, ziemlich ins Kleiderl gemacht). Die Abfahrt vom Pass auf 5200m bis zum tiefsten Punkt der Strecke auf 700m ist mit mehr als 120 Kilometer (schätzungsweise) die längste durchgehende der Welt, man bekommt hier also ein ziemlich gutes Gefühl dafür, wie gewaltig sich der Himalaya vom Subkontinent abhebt.
Zhangmu ist ein Ort, der entlang der sich den Berg hinabwindenden Serpentinen gebaut ist. Auf den Straßen wurlt es, alles muss hier durch, von der Sau (die hier übrigens in der Einser-Panier durch die Stadt getrieben wird) bis zum LKW. An der Bottleneck-Stelle staut es sich in drei Spuren über die gesamte Straßenbreite, man fragt sich, wie die von der nepalesischen Seite heraufkommenden Fahrzeuge da durchkommen sollen. Irgendwann wird uns geheißen, zu Fuß zur Grenzabfertigung zu gehen, die für sich betrachtet eine ziemliche Farce bzw. Machtdemonstration ist: Wir werden – wieder ordentlich der Reihenfolge in der Liste folgend – registriert und müssen unser Rucksackerl ins Röntgen legen, während unsere Jeeps einfach durchgewinkt werden (glücklicherweise habe ich meine in Nyalam zum Schnäppchenpreis erworbene Kalashnikow dort gelassen).
Die eigentliche Grenze kommt erst 8 Kilometer weiter unten an der Friendship-Bridge, dazwischen liegt das Niemandsland. Unsere Fahrer dürfen bis knapp vor die Brücke fahren, dann nehmen wir erleichtert Abschied von unserem heute die ganze Fahrt über bedrohlich knatterndem Gefährt. Wie sollen die Fahrer damit wieder bis nach Lhasa bzw. Purang kommen? Vor dem LKW entsteht im Handumdrehen eine große Schlange von unheimlich dünnen nepalesischen Gepäcksträgern, die einen Apfel und ein Ei damit verdienen, dicken Touristen das Zeug nach Kodari hinunterzutragen. Mich überkommt beim Gedanken an mein 20kg-Ungetüm ein unangenehm koloniales Gefühl. Aber selber tragen ist nicht besser, die Leute brauchen das Geld...
Unten in Kodari, auf der nepalesischen Seite, müssen wir ein Visum beantragen. Für die, die kein Foto haben, gibt es eine Lösung, die hart an der Grenze zur Schmierage steht: Einfach 5$ löhnen, dann interessiert keinen mehr, wie der Einreisewillige ausschaut. Bei wem meine fünf Dead Presidents wohl landen? Und wie lange müsste man hier für diesen Preis Gepäck tragen?
Während wir speisen (Gemüsecurry für umgerechnet 50 Cent), kommen schön langsam Bus und Gepäck zusammen, wobei die Betonung auf langsam liegt. Kodari ist vollgestopft mit (meist liebevoll mit gefakten Markenlogos verzierten) LKWs, da muss man durch, ebenso durch das Gackhaufenminenfeld am Straßenrand, denn niemand stellt den stundenlang wartenden Fahrern ein Klo auf.
Die Busfahrt zurück nach Kathmandu wirkt wie ein zu schnell abgespielter Film, man weiß nie, auf welcher Seite man hinausschauen soll, einmal versäumt man links einen Wasserfall, dann rechts eine beeindruckend lange Hängebrücke über den Fluss. Der Kontrast zu Tibet ist einfach enorm, man sieht hier innerhalb einer Stunde mehr Menschen als während der ganzen vergangenen Woche.
Irgendwann wird der zu schnelle Film leider doch etwas fad, immerhin braucht der Bus für die 180 Kilometer nach Kathmandu stolze 4½ Stunden. Wenig hilfreich für das Vorankommen ist ein Patschen - und hier möchte ich dann noch eine Frage in den Raum stellen: Warum sagt der Fahrer zuerst, dass er was essen muss, obwohl wir eigentlich einen Patschen haben – oder umgekehrt? Hat er leicht eine Freundin in Barabise? Macht nicht viel, ich schlendere mit den Gebrüdern Gahleitner (ich hab sie zuerst sehr verstimmt, als ich stattdessen scherzhaft „Gauleiter“ sagte...) durch das Kaff und versuche, den schon sehr virulenten Konsumgelüsten zu widerstehen – was mir angesichts eines „SPLDER MAN“-T-Shirts sehr schwer gemacht wird.
Je näher man Kathmandu kommt, desto dichter besiedelt ist die Gegend. Interessanterweise werden aber die Reisfelder nicht weniger; eigentlich eh praktisch: Reis statt Rasen. Und endlich, nach ca. sieben Militärcheckpoints und oben erwähnten 180 Kilometern stehen wir vor dem Hotel. Leider war ich psychisch schon so am Ende, dass mir, als Lukas unversehens eines seiner Hauberln auf meine Schulter fallen ließ, ein „Tua den Fettloppn do weg!“ entfuhr. Unverzeihlich.
Dann wird groß geduscht. Befriedigt blicke ich auf Dreck und Speck der vergangenen Wochen zurück, bevor er im Abfluss verschwindet. Bis auf die Souvenirjagd habe ich jetzt das Anstrengendste schon hinter mir (bitte!). Und welch ein schönes Gefühl, bestimmte Tätigkeiten wieder im Sitzen verrichten zu können! Dann überkommt mich großer Hunger (eh wie alle zwei Stunden, aber diesmal richtig), vielleicht will mich der Körper glauben machen, dass die drei Kilo Schmutz, die ich ihm heruntergeduscht habe, bereits zur körpereigenen Substanz geworden sind.
Nach dem Essen investiere ich ein kleines Vermögen in einen Heimanruf, im Zuge dessen mich Alois zum Antritt meines so lange vernachlässigten Reinigungsdienstes anhält, da die Wohnung schon so dreckig sei. Siedend heiß überfährt mich das schlechte Gewissen.

10. Oktober: Kathmandu

Der Sonntag stellt glücklicherweise kein schwarzes Loch dar, es gibt wieder Programm! Gut so, ich kann ab 6:30 Uhr ohnehin nicht mehr schlafen, also her mit der Action. Am Durbar Square von Patan stürzen sich die TigerbalsamFlötenTascherltandler freudig auf uns, innert Sekunden haben sie heraus, dass wir Deutsch sprechen, und ködern uns mit „Heute billiger! Nur 10 Schillinge!“ Ich kläre sie auf, dass wir jetzt schon den Euro haben, worauf sie mit „Heute billiger, nur ein Euro!“ reagieren. Hui, da hat der Teuro zugeschlagen! Durch mein schulmeisterliches Verhalten habe ich mir aber leider ihre besondere Aufmerksamkeit zugezogen. Da hilft nur beherztes und intensives In-die-Luft-Schauen; Josefs Strategie, jemandem ein Trumm abzukaufen, um damit zu signalisieren, dass hier der Markt bereits gesättigt ist, zeitigt gegenteilige Effekte.
Das Patan-Museum ist in diesem Kontext eine Zufluchtsstätte erster Klasse. Es wurde als Projekt der österreichischen Entwicklungshilfe renoviert und kann sich sehen lassen. Vor einigen Jahren wurde es mit großem Bahnhof eröffnet, wobei es angeblich aufgrund von kleinlichen Protokollstreitigkeiten zwischen den Entouragen des damaligen nepalesischen Königs und unser aller Benito zu stundenlangen Verzögerungen gekommen sein soll. Da müssen sich zwei Operettenhauptdarsteller gefunden haben. Wie auch immer. Das Schönste am Museum ist die Atmosphäre, obwohl die Ausstellung (Ikonographie hinduistischer und buddhistischer Kunst) an sich schon sehenswert ist. Im Innenhof kann man sehr fein speisen, auch das allseits beliebte Everest-Bier wird gerne serviert. Diese Oase der Ruhe stärkt die Abwehrkräfte gegen die hängende „HelloHelloOneRupee“-Platte, die draußen sofort wieder abgespielt wird, sobald man einen Fuß auf das Pflaster setzt.
Auf dem Weg zurück bietet uns Max erneut die Gelegenheit zu kontrollieren, was mit unserem (na ja, mit meinem eher weniger...) Steuergeld hier gemacht wird. Die Renovierung des Keshamahal-Gartens ist ein aktuelles Ökohimal-Projekt; der Garten ist sehr lauschig, ich hoffe, dass er in Zukunft der nepalesischen Jugend als Hintergrund für den Austausch erster zarter Küsse dient. Vorerst wird er noch so streng bewacht, dass die sich faul vor dem Vormittagsprogramm gedrückt habenden und deswegen nachkommenden Gahli Bros. beinahe von der Wache erschossen worden wären. Aber niemand musste sterben! Außer meine Würde, als mich Lukas beim öffentlichen Labyrinthlauf deklassierte: Aus mir selbst nicht mehr zugänglichen Gründen bin ich in vollem Bewusstsein eine Extrarunde gewatschelt. Alle lachten mich aus! Wollte ich vielleicht den Moment, in dem alle Augen auf mir ruhten, publicitygeil prolongieren? Das wär’ aber gar nicht meine Art.
Und dann gibt es kein Halten mehr, das Turbotschopping in Thamel (quasi die „MaHü“ Kathmandus) kann losgehen. Zwar flasht das überwältigende Tandelwarenangebot in Kombination mit dem Nachmittagsverkehr schon sehr, ich konnte aber eine gute Leistung vorlegen. Hoffentlich ergrünt Coala, die Säulenheilige des „BüliBüliBüli-Tschoppings“, vor Neid, wenn sie diese Zeilen liest. Ich kaufe jedem, der „Austria“ nicht als „Australia“ wiederholt, etwas ab, schreckliche Summen verlassen mein Geldtascherl, bis ich endlich zurück zum Hotel schwarteln muss – eine Abendgeselligkeit mit unseren Nepalesen steht ins Haus.
Die Herren Nepali finden sich geschnäuzt und gekampelt im Hotelgarten ein und betrinken sich umgehend bereits am ersten Bier. Ich tue ihnen dies gern nach, man will ja schließlich barrierefrei miteinander reden können. Dann taucht Tenzin, Chefkoordinator von „Sunnytravels“, auf und heißt uns in einem Bus Platz nehmen. Ein nepalesisches Äquivalent zu einem Tiroler Abend wird uns versprochen. Schon während der Fahrt sind Gowa, Pasang, die beiden Mingmas, Norbu und Ningma angenehm leicht zu unterhalten, auch mein Sitznachbar Katzi ist meines Erachtens nicht mehr ganz nüchtern.
Zuerst sieht es so aus, als wolle man uns lediglich bei Volksmusik mit Bier, Rakshi und Essen abfüllen und auf unseren faulen Hintern sitzen lassen, doch dann geht plötzlich die Lutzi ab als ausgerechnet der schüchternste von allen „Buam“ anfängt, euphorisch zu tanzen. Die anderen lassen sich nicht lange lumpen, und bald schon können die professionellen Tänzer einpacken. Dazwischen werden unter intensivem Applaus wechselseitig Urkunden und Geld verliehen und immer neue Gänge & Biere herbeigetragen.


Drei Nepalesen führen traditionelle Tänze auf... Foto:Christa


Da geht Lutzi ab!Foto: Christa

Bei solchen Abenden ist es wohl wirklich am besten, wenn sie dann enden, wenn’s am schönsten ist, so erspart man sich am nächsten Morgen die Symptome der Höhenkrankheit. Der Abschied von den Nepalesen war jedenfalls sehr berührend – und das obwohl sie uns über zwei Wochen von hint und vorn bedienen mussten.

Dienstag, Mai 17, 2005

11. Oktober: Kathmandu - Wien

Nun sitze ich schwermütig und freudig erregt zugleich im Flieger und versuche vor dem Wegbüseln (ob das in der Gemütslage gelingen wird? Da muss wohl der auf der Reise lieb gewonnene Freund Halcion helfen) die Erlebnisbuchhaltung auf Vordermann zu bringen bzw. einem würdigen Ende zuzuführen. Zuvor habe ich in der Kronen Zeitung geschmökert, die wie erwartet herzhaft-kronig ressentimentgeladen auf die Nobelpreisverleihung an die Jelinek reagiert hat. Zünftig! Was wär’ die eine ohne die andere? Sorgen macht mir nun aber, dass ich „Menschlich betrachtet“ nicht mehr verstehe – statt seniler Skurrilität herrscht hier jetzt totale Sinnkarenz! Ob’s an mir liegt? Ein paar Reihen hinter mir stöhnt ein ohnehin schon drastisch schnarchender Mensch aufs erbärmlichste. Was der wohl träumt? Ob ihm auch „Turning 30 over Night“ so zusetzt? Warum sind nur alle Flugfilme so entsetzlich schlecht? Damit die Leute einschlafen können?
Vom heutigen Tag gibt’s jetzt nicht mehr besonders viel zu berichten, außer man delektiert sich an den Schilderungen meiner Einkaufserlebnisse oder an Berichten über die Bodychecks am Flughafen. Vielleicht könnte ich noch davon erzählen, wie dicke verzogene indische Buben frühstücken: Erstens sehr viel, zweitens müssen sie das Innere des Toasts nicht essen, drittens dürfen sie in aller Öffentlichkeit das Buttermesser abschlecken. Und sicher werden sie viertens nicht von Freunden geplagt, die sich auch etwa zwanzig Jahre nach einer gemeinsam eingenommenen Mahlzeit noch daran delektieren, dass man sich den Kakao gezuckert hat (goi, Berni!). Als ich Josef auf den kleinen Fresssack aufmerksam machen wollte, machte der wiederum mich darauf aufmerksam, dass ich nun ebenfalls schon das dritte Mal um das Frühstücksbüffet kreise. Beschämt schwieg ich und ließ mich von ihm an meinen neuen Platz an der Seite des dicken Kleinen führen.
Und schließlich trug sich ein kleines, schönes Ereignis zu, als ein gschaftiger Tourist in seinem Eifer köpflings an die Glasscheibe tuschte – vor etwa hundert Zuschauern. Ich schreibe das jetzt nur, weil eh alles glimpflich ausgegangen ist. Andererseits... soll das den Schlusspunkt meiner Reisebeschreibungen bilden? Wem fällt ein schöner Schluss ein? Es gibt Gebetsfahnen zu gewinnen!