Sonntag, Juli 24, 2005

Endfassung: Die wilden Tage von Ktisch mit der Bohème von Böhmen

So! Nachdem nun schon Drohmails eingelangt sind, ich möge gefälligst die Urlaubsberichterstattung einer Erledigung zuführen, muss ich jetzt wohl.

Das Ganze fing mit einer Absage an: Die Nachbarn waren mir schon seit Wochen mit dem verwegenen Ansinnen in den Ohren gelegen, ihnen im Urlaub das Aupair-Mädchen zu spielen. Dahinter steckte die doch etwas gemeine Absicht, befreundeten Jungfamilien vorzugaukeln, man könne auch mit Kindern urlauben wie früher zu Rockstarzeiten. Ich lehnte selbstverständlich ab! Bei aller geisteswissenschaftlich induzierten Sinnsuche (sprich: bei aller Gier nach sinnvoller Tätigkeit) - die Vorstellung, als verwöhnte Primarstochter eine subalterne Anstellung im Nachbarshaushalt annehmen zu müssen, trieb mir den kalten Schweiß auf die Stirn.
Ich ließ die Nachbarn also heulend und z.T. tobend zurück und ging meiner Wege. Einer davon führte mich in den Kofferraum unseres Autos, das ich meinem Mäzen zuliebe staubsaugend von den letzten Haaren unseres kurz zuvor verwichenenen Hundes befreien wollte. Nach nur wenigen Minuten übermannte mich der süße Schmerz des Gedenkens und ich begann mädchenhaft bitterlich zu weinen. Da die Tränen meine Augen trübten und der Staubsauger meine Ohren, bemerkte ich zu spät, dass sich das Auto in Bewegung gesetzt hatte. Ich wuchtete mich zur Handbremse. Auf halbem Wege musste ich erkennen, dass sich die Nachbarn heimlich unser Auto geliehen und obendrein mich entführt hatten! Dies erkennen und erneut bitterlich weinen waren eins.
So landete ich also mit leergeweinten Augen im südböhmischen Ktisch. Von den anwesenden Jungfamilien stieß sich keiner an meinem unglücklichen Los, zumal ich nicht nur die kleinen Goldbären zu umsorgen hatte, sondern auch noch als Reisereporterin, Mediatorin, Fremdwörterluder Kinderkungfu-Animatorin, Humorflitscherl und Häusldepp in Personalunion fungierte. Das alles natürlich mit mäßigem Erfolg, denn zu diesem Zeitpunkt galt für mich noch, dass aus dem Schmerz kein Scherz hervorsublimiert werden kann.
Dass man mich dann aber zwang, für jeden misslungenen Sager einhändige Liegestütz machen (ich schaffte keinen einzigen), brachte mir folgende Erkenntnis, die ich hiermit allen Lesern auf die Kopfpölster sticken möchte: Man kann auch ohne Spaß fröhlich sein!
* * *
Da war ich also ordentlich in die Bredouille geraten. Aber gegen die Wand gedrängt pflege ich einen unbändigen Freiheitswillen zu entwickeln. Fieberhaft begann ich nach Ausbruchsmöglichkeiten zu suchen. Bald schon hatte ich einen Plan: Des Nachts aus dem Zimmer stehlen (mich selbst, aber auch das Geld der Entführer), mich bis zur Moldau durchschlagen, einen Kajak rauben und dann an der Grenze um Asyl ansuchen - ich versprach mir von dieser Erfahrung als zusätzlichen Benefit einen tollen Erlebnisbericht für den "Falter" oder irgend ein anderes Gutmenschenblättchen, am besten gar einen Auftritt bei Veras "Schicksalstagen". Das würde einen enormen Auftrieb für mein Kunstwollen bedeuten.
Alles würde ganz leicht gehen: Die erwachsenen Zimmergenossen (zu allem Überdruss hatte man mich der Familie G. auch als Schlafgast zugeteilt) wollte ich mit billigem Pils abfüllen, die Kinder, sollten sie weinend anschlagen, mit tschechischer Jausenwurst besänftigen. Untertags war mir schon bei mehreren Gelegenheiten aufgefallen, dass mich die Einheimischen aufgrund meiner Rassemerkmale für eine der Ihren hielten; das würde ein immenser Vorteil sein.
Dann ging alles schrecklich schief. Die Bettwäsche, an der ich mich an der Hauswand abseilen wollte, war um eineinhalb Meter zu kurz. Ich wagte nicht loszulassen; schnell wurde mir höhenangst und bang, meine Hände lösten sich unaufhaltsam aus der Umklammerung. Während des Fallens wurde mir zudem bewusst, dass die Moldau in die falsche Richtung fließt, ich wäre also wahrscheinlich im Schwarzmeer gelandet wie dereinst meine Schwester Coala nach einem Badeunfall in der Rodl (von diesem Abenteuer wird auch einmal noch zu berichten sein).
Ich erhob mich unter Schmerzen, klopfte mir den Staub aus den Kleidern und ging ins Restaurace "Ruce" einen heben. Nach dem siebten Pils kam mir dann obendrein noch zu Bewusstsein, dass ich ja eigentlich auch durch die Tür hinausspazieren hätte können. Damit begrub ich meine Fluchtpläne.
Im Zimmer war meine Abwesenheit gar nicht aufgefallen, was mich trotz allem ein bisschen kränkte. Ich wuchtete mich mühsam auf das Stockbett und begann meine Suche nach einem Platz in Morpheus Armen - ein angesichts einer konzertierten Innviertler Sägekakophonie völlig aussichtsloses Projekt. Ich lag also noch stundenlang wach. Bei dieser Gelegenheit wurde ich auch Zeuge sehr unkonventioneller Erziehungsmethoden: Die untertags sanft und lieblich die Kinder umsorgende Mutter G. entwickelte ausgerechnet des Nachts plötzlich Prinzipien - dem wimmernd und schließlich schreiend nach ambidextrer Zuwendung flehenden Sohn ("Mit zwaaaaaaaaaaaaaaaaaa Händt!") wird nach einer Viertelstunde Flehens barsch beschieden: "Du kannst bitzeln, bis du schwarz wirst!"
Ich hatte also alle Zeit der Welt für meine Gedankengänge. Zunächst beschäftigte mich noch die Idee, eine extrem klassenkämpferische Aupairmädchen-Gewerkschaft zu gründen; bald aber tröstete mich der Geistesblitz einer neuen, erfolgversprechenden Strategie: Bedingungslose Integration.

* * *

Was wäre dazu besser geeignet gewesen, als die eben von mir und Coala gegründete Bewegung "Begeisterte Christen!" in die Herzen der in Ktisch Anwesenden zu tragen?
Man muss wissen, dass uns beiden am Wochenende zuvor ein wahrliches Pfingsterweckungsereignis widerfahren war.
Coala war die Idee gekommen, ihre wertvollen Schriftstücke bereits zu Lebzeiten dem Landesarchiv zu überlassen; sie stellte eine große Schachtel zusammen und übergab sie vertraulich unserem Nachbarn. Der dachte aber gar nicht daran, die vereinbarten 100 Jahre abzuwarten und erbrach das Siegel. So kam es, dass er ein zufällig unter Coalas Werke geratenes Dokument fand, das er sogleich an die Öffentlichkeit zerrte:

Wir nahmen unserem Nachbarn die Sache aber nicht übel, vielmehr freuten wir uns über den lieben Gruß aus fernen Kindertagen und inszenierten spontan und unbürokratisch eine kleine Gartenmesse. Da aber geschah es, dass sich plötzlich Zeichen und Wunder dartaten:



Wie Feuerzungen prasselte die Inspiration auf unsere Köpfchen herab! Wir rissen die Hände in die Höhe und riefen "Hosanna!", "Halleluja!", aber auch "Kraaaa!", denn man kann Gott mit allen Worten dieser Welt loben.
Dann begannen wir, unsere Begeisterung in die Welt hinauszutragen.


Das Menetekel vom Leitenweg.
Foto: MNK

* * *
Das alles wurde mir in meinem Stockbettchen auf dem nassgeweinten Kopfpölsterchen bewusst. Ich war getröstet und dachte vor dem Einschlafen noch: "So klappt's auch mit den Nachbarn!"
In der Tat verfolgte ich ab dem nächsten Morgen die Strategie der begeisterten Christen. Sobald jemand etwas geäußert hatte, warf ich meine Arme in die Luft und brüllte aus vollem Hals "Halleluja!" und "Lob sei dem Herrn!"
Ich muss an dieser Stelle übrigens das im Gast-Posting dem Hubertussegen zugeschriebene "Wunder von Ktisch" ein wenig rekontextualisieren: Die wunderbare Weichenstellung zum Lebens-Ja erfolgte nicht erst vor der Ktischer Waldkapelle, sondern eben daheim in Mutters Garten. Dass der Heilige Hubertus seinen Segen auf die Kindergeldbezieher und meine Wenigkeit herabstrahlen ließ, kam insofern auch nicht von ungefähr.
Durch meinen Furor religiosus war ich nun nicht nur bei der Baggerreifenaktion leicht (d.h. fast schon märtyrerhaft) übermotiviert, sondern beispielsweise auch beim Baden:


Begeisterte Christen tragen einander!
Foto: MNK
Man muss der Ehrlichkeit halber aber einräumen, dass meine skeptischen und aufgeklärten Reisekollegen einige Zeit brauchten, um meinen Sinneswandel nicht für alkoholinduziert zu nehmen. Mehr als einmal musste ich den Lieben erklären, dass man wohl auch ohne Alkohol Spaß haben könne bzw. Gefühle zeigen dürfe. Dass ich dann aber gern zwo, drei Pils konsumierte, nehme man mir bitte nicht krumm, ich bin ja auch nicht aus Beton.
* * *
So nahm der Urlaubsspaß also endlich auch für mich seinen Lauf. Lustigerweise ausgerechnet an jenem Zeitpunkt, an dem er für manche kurzfristig seinen Lauf stoppte, denn so ein sterziges, boweliges Grießkoch ist wahrlich nicht jedermanns Sache. Ich reagiere bei solchen Dingen ja mit leichtem Herzen stoisch, denn es gilt in meinem Leben: Hauptsache billig, viel und von jemandem anderen gekocht. Wenn dann auch noch kein totes Tier drin herumschwimmt, ist mir jedes Essen recht. Dass Anita und Peter kulinarisch vom gleichen Mindsetting beseelt sind, kann man im vorhergehenden Posting betrachten. Super Kompromisslösung all jener, die zwar anfangs die picksüße Plörre unkritisch in sich hineingeschaufelt hatten, dann aber unter dem allgemeinen Naserümpfen nachdenklich wurden: Die Pilsspülung.


Peter entdeckt: Grausliches wird nicht besser, wenn man neue Zutaten hinzufügt. Ein begeisterter Christ schätzt aber Gottes Gaben und isst auf!
Foto: MNK


Anita als mündige Christin beim Nachschlag.
Foto: MNK


Bei manchen drückt aber die Kulinarik auf die Stimmung. Daraus entsteht oft ein Alkoholproblem.
Foto: MNK



Ein Alkoholproblem ist der Stimmung aber mitunter förderlich.
Foto: MNK



Aufreibende Kinderbetreuung - das haut den stärksten Eskimo vom Schlitten.
Foto: anita

1 Kommentar:

Dominika Meindl hat gesagt…

Minkasia said...
Oho! Da hat sich eine Unkorrektheit in meine Rede eingeschlichen! Wie man weiß, befindet sich die Wasserscheide zwischen Schwarzem Meer und Nordsee genau in Böhmen! Ich wäre also bei meinem kläglich in die Binsen gegangenen Fluchtversuch mit der Moldau in die Nordsee gespült worden! Welch peinliche Bildungslücke!
Bin ich froh, dass eh niemand den ganzen Kram liest.