Mittwoch, Mai 07, 2008

Nepal statt Neapel



Liebe Leserkätzchen und Spätzchen,

hier der Bericht über meinen Wanderausflug in den Himalaya - in der extended version.


In Turnschuhen am Fuß des Annapurna

Von einer, die auszog, um mit möglichst wenig Budget in Nepal möglichst hoch hinaus zu kommen: Wie weit gelangt man auf dem Trek ins Annapurna-Basislager ohne Proviant, Schlafsack, Bergschuhe - und vor allem Geld?

Schwer wiegen die Beine, schwer drückt der Rucksack. Hinter mir die keucht die Französin Anne, mit der ich mich seit dem Morgengrauen als Tempomacherin abwechsle. Seit wir die 4000-Meter-Grenze überwunden haben, hat sich unser Sturm auf das Annapurna-Massiv verzögert. Auffallend oft machen wir nun Foto-Stopps und Schuhbandkorrekturen.



Atemberaubend ist nicht nur der Aufstieg in dünner Luft: Im Rücken haben wir den wunderschönen Machapucchare. „Fischschwanz“ heißt der Heilige Berg übersetzt, und so sieht er auch aus. Es ist streng verboten, ihn zu besteigen.



Vor uns liegt das Annapurnamassiv. Die klare Luft lässt uns das Basislager lange schon sehen, doch wir scheinen kaum näher zu kommen. Wohl auch, weil mit den Turnschuhen auf Schnee doch nicht so gut marschieren ist.



Bergsteiger mögen an dieser Stelle die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Grund für das unpassende Schuhwerk sind Sparmaßnahmen. Feste Bergschuhe wären einfach zu schwer geworden. Genauso wie ein dicker Schlafsack und Proviant.
Denn so lautete die Aufgabe: Kein Führer, kein Träger, sowenig Gesellschaft als möglich. Aus sportlichem Ehrgeiz, dem Wunsch, alleine zu sein – und aus finanziellen Gründen. Denn schon alleine mit dem Flug in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu ist das Reisebudget erschöpft.

Nur das Nötigste soll für den zweiwöchigen Trek rund um das Annapurnamassiv mit. Trotzdem wiegt der Rucksack mehr als zehn Kilo. Vor dem Aufbruch kommt Sorge auf. Halten die Knie, was die Unfallchirurgen versprechen? Wie sicher ist der Weg? Immer wieder wird vor Raub gewarnt und davon abgeraten, alleine zu wandern, schon gar nicht als Frau. Dazu kommt die politische Lage: Die ersten demokratischen Wahlen stehen kurz bevor. Zehn Jahre lang hatte Bürgerkrieg geherrscht, bis die Maos sich durchsetzen konnten und den König vom Thron jagten. Das Wetter ist die geringste Sorge, doch die Zeichen mehren sich, dass die Regenzeit verfrüht einsetzt. Für die Wanderer sicher weniger problematisch als für die Bauern, die wegen des vielen Regens um die Ernte fürchten müssen.



Das heißt für mich: Früh aufstehen, um dem täglichen Gewitter am späten Nachmittag zu entgehen. Kein Problem, denn unter den alten Decken in den Unterkünften ist es ohnehin kalt. Dann marschieren, bis die ersten Regentropfen fallen. Wenn es regnet, ist ausreichend Zeit zum essen und rasten. Und über den Winter ist ohnehin ausreichend Energie als Hüftspeck angefallen…

Schon bald erweisen sich die Sorgen – bis auf das Wetter – als unbegründet. Nach dem ersten Muskelkater gewöhnen sich die Beine an den Rucksack und das ständige Bergauf und Bergab – oft führt der Pfad hunderte Höhenmeter steil bergauf, nur um jenseits der mühsam erklommenen Kuppe sofort wieder ins Tal hinabzuführen.
Doch das Gehen wird mir immer lieber. Mit jedem Schritt wird der Kopf freier. In der Früh kann ich es oft gar nicht erwarten, loszumarschieren. Ganz langsam am Morgen, im Schweinsgalopp, wenn der Donner grollt.

Immer wieder bleiben entgegenkommende Touristen und Nepalesen auf einen Schwatz stehen. Eine Frau ohne Begleitung mit eigenem Gepäck auf dem Rücken sehen sie offensichtlich selten. „You lonely?“ fragen die Nepalesen oft. „Not lonely, alone“, antworte ich und stapfe weiter.




Es ist einfach, Unterkunft zu finden. Alle zwei, drei Stunden führt der Weg durch ein Dorf, in dem es Verpflegung und Unterkünfte gibt. Viersternehotels darf man nicht erwarten, es empfiehlt sich eine gewisse Robustheit gegen Kälte und die eine oder andere Maus im Zimmer.
Das ersparen sich die meisten Wanderer. Viele sind in Gruppen mit einem großen Team an Trägern unterwegs und übernachten in Zelten. Dafür kommen sie viel langsamer voran.
Das wird bei der unsicheren Wetterlage zum großen Vorteil. Das Annapurna-Basecamp –Ziel des sogenannten ABC-Treks – ist nur bei guten Wetterbedingungen zu erreichen. Hätte ich einen Tag länger gebraucht, hätte ich unverrichteter Dinge umkehren müssen. Die Lawinengefahr war zu groß.
So wäre ich auch nicht Zeugin eines besonders törichten Angebotes geworden: Die reichsten der Reichen lassen sich vom nahe gelegenen Städtchen Pokhara mit dem Helikopter zum Basislager hochfliegen.
Mit den Augen einer mit wunderschönen Alpenpisten verwöhnten Österreicherin geben die Hänge hier nicht viel her. Außerdem stört der Heli im Naturschutzgebiet. Hier geht es offensichtlich um das Prestige. Der Spaß kostet 3800 Euro. Pro Nase. Pro Stunde. Eine Deppensteuer immerhin.

Daulaghiri

Da ich schneller als erwartet war, beginne ich die Umrundung des gesamten Annapurna-Massivs – ein ebenfalls sehr beliebter Trek. Und einer, den es so möglicherweise nicht mehr lange gibt. Jenseits der nahen tibetischen Grenze wartet schon der Straßenanschluss. Noch gibt es nur eine einzige Straße zwischen Nepal und Tibet. Alles andere sind Pfade. Bald aber werden Autos auf Wegen fahren, die bislang den Wanderern vorbehalten waren. Für die Menschen, die hier leben, bedeutet der Anschluss an die Moderne. Bisher musste jeder einzelne Gegenstand auf dem Rücken hoch getragen werden. Die Einnahmen durch die Wanderer aus dem Westen werden ihnen aber fehlen.



In diesem Zusammenhang geriet ich auch ein einziges Mal in eine brenzlige Situation. Ich war an diesem Tag schon länger unterwegs, als meine Beine für gut befanden. Ich war gottserbärmlich hungrig, allmählich wurde es finster, die nächste Siedlung noch irgendwo. Gerade als ich erstmals wirklich an Raub und andere Gefahren denke, springt ein Mann auf die Straße und hält mich auf.
Ich ziehe den Kopf zwischen die Schultern und balle die Fäuste – niemand soll mir in die Quere kommen, wenn mein Magen leer ist! „Stop!“ „Why?!“ Der Mann ringt nach Worten. „Blast!“ Ich verstehe ihn nicht, wohl aber die unmittelbar darauf folgende Sprengstoffexplosion. Ein Glück, dass ich ihn nicht grantig beiseite geschoben und weitergegangen bin… Als ich am Ort der Felssprengung vorbeieile, sehe ich, unter welch inakzeptablen Bedingungen die Arbeiter die Straße nach Tibet frei aus dem Fels hauen – mit Seilen und bloßen Händen zerren sie an den losen, riesigen Brocken. Kein Wunder, dass der Straßenbau jährlich Dutzende Todesopfer fordert.

Einen Tag später komme ich mit etwas Glück ins Städtchen Pokhara zurück. Wegen der Wahlen sind sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel gestoppt, das Internet nur eingeschränkt nutzbar. Das Militär will so Unruhen im Keim ersticken. Eine Sorge, die sich als unbegründet erweist. Die ersten freien Wahlen verlaufen fast ohne Zwischenfälle. In Pokhara geraten sie zur Touristen-Attraktion.



Unbegründet auch alle eigenen Sorgen: Geraubt hat mir niemand etwas, außer vielleicht die Mäuse den Schlaf. Dafür bekam ich eine Menge: Ruhe, Gastfreundschaft, unglaubliche Bilder.


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