Sonntag, Juli 24, 2005

Exklusiver Gastauftritt vom Zeitgeschichtestar: Das Wunder von Ktisch

Werte Freunde der gepflegten Reiseberichterstattung und Abenteuerschnurren! Ein Wunder hat sich ereignet! Leser G. hat mir spontan und unbürokratisch in seiner Mittagspause die Hubertusgeschichte geschrieben! Da sing ich zum Dank insgeheim den "Wildschütz"!

Wie ein beherzter Weblog-Nerd fünf Jungfamilien von des Todes Schaufel schubbste


Es sollte ein unvergesslicher Familienurlaub werden. Fünf österreichische Jungfamilien verbringen ebensoviele Tage in einer Aussteigerhütte im südböhmischen Ktis, wo sie sich dem Rhythmus ihrer Kinder hingeben: schlafen, essen, trinken, spielen. Um den Erholungswert für die erwachsenen Expeditionsteilnehmer zusätzlich zu steigern, wird die perspektiven-, kinder- und arbeitslose Jungakademikerin Dominika M. angeheuert und sinnstiftend einer Aupair-Sekundärnutzung zugeführt. Was sich zunächst ob der kinderbetreuungstechnischen Jungfräulichkeit von Jungfräulein Dominika als Flop und Geldvernichtungsaktion (sie verlangt pro Betreuungsstunde ein Budweiser-Bier und pro angekackter Windel zwei) anlässt, soll sich später als lebensbejahende Weichenstellung erweisen.




Trotz der Elefanten im böhmischen Wald: Eine spontane Manifestation unmotivierten Verhaltens.
Foto: MNK


Denn: Nach wenigen Tagen der hyperpassiven Duldungsstarre und Aktionismus-Enthaltsamkeit plant die verschworene Gemeinschaft eine Landpartie, von deren verhängnisvollen Implikationen zu diesem Zeitpunkt niemand auch nur das Geringste ahnen kann. Bis an die Zähne hoch- und ausgerüstet mit freizeitstressbekämpfenden Kinder- und Sportartikeln aller Art begibt man sich auf Wanderschaft. Erster Höhepunkt: Die dislozierte Kinderwagen- und Spielzeugabteilung mutiert zum Grenzlandchor Arnoldstein und der heilige Hubertus himself delektiert sich in seiner Wald-Ubikation an den schaurig-schönen Gesängen. Spontan und unbürokratisch erteilt er trotz Mittagspause den Segen. Den wird man noch brauchen. Denn bereits auf den nächsten Metern trägt sich jenes schicksalsschwangere Ereignis zu, das nur Stunden später zum empirischen Stoff für die Mutter aller Heldensagen werden sollte.




Hier wurde der Hubertussegen erfleht, der nur wenige Minuten später dabei half, mein Leben auf die lebensbejahende Schiene zu bringen. Foto: MNK

Doch alles der Reihe nach: Beflügelt von der hubertinischen Metaphysik lustwandeln die Freunde des gepflegten Kindergeldes in locker gruppierten Formationen eine kleine Anhöhe empor, als plötzlich das Unfassbare geschieht. Das bislang nicht sonderlich auffällig in Erscheinung getretene und etwa zehn Meter hinter der Gruppe widerwillig-unmotiviert latschende Aupairmädchen Dominika (Agnostikerin und deswegen von Hubertus nicht motivierbar) bricht sich Bahn durch die dicht geschlossenen Reihen. Jungväter treten angerempelt Jungmüttern auf die Zehen, Jungmütter weinen, Kinderwägen fliegen! Was ist geschehen?
Ein Reifen der Größe X-Large hat sich von einem auf der Anhöhe arbeitenden Bagger gelöst und rast mit Höllentempo auf die Unschuldigen zu. Die nicht nur geistesgegenwärtige, sondern auch über die Maßen mutige Dominika (was würde alle Geistesgegenwart dieser Welt nutzen bei null komma Josef Risikobereitschaft) schickt sich an, ihr volles Körpergewicht dem Mordinstrument entgegenzuschleudern - wie weiland Old Shatterhand seinen Luxuskörper einem Winnetou zugedachten Projektil entgegenstellte (und dabei unglücklicherweise starb). Angestachelt von dieser Karl May-Assoziation und den süßen Ruhm vor Augen ist Dominika jedoch ein wenig übermotiviert. Ihr Tempo, mit dem sie auf den Reifen zurast, ist unangemessen hoch und so wird sie nach dem Aufprall einigermaßen weit zurückgeschleudert. Diese ungelenk wirkende Hinfälligkeit entauratisiert für kurze Zeit die Majestät des schicksalhaften Augenblickes. Einige Väter müssen sogar kurz lachen. Dies auch deshalb, weil sie nie gelernt haben, mit großen Gefühlen (Todesangst, Bewunderung, ...) umzugehen. Doch als sich Dominika wieder erhebt und die Gruppe umgehend dazu auffordert, sie als kühn posierende Reifenbezwingerin abzulichten (wieder etwas übermotiviert), schleicht sich tief empfundene Dankbarkeit in die Herzen der Erretteten.




Foto: anita


Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die Helden-Aura noch ein zweites Mal empfindlich gestört wurde. Nämlich als die Freunde unter großen Mühen nicht nur Dominika auf den Schultern trugen, sondern auch den Reifen den Berg hinauf zum Baggerfahrer zurückrollten und dieser bar jeder Rührung sinngemäß aus dem Tschechischen übersetzt sagte: "Legt ihn in den Graben" ...

1 Kommentar:

Dominika Meindl hat gesagt…

Minkasia said...

Ja, auch ich musste gerade mit großen Gefühlen ringen! Große Rührung überkam mich beim Lesen!

Nur ganz kurz lüftete sich die auratische Hülle der großen Erzählung - erstens wurde ich beim Ringen mit dem Reifen nicht zurückgeschleudert, und schon gar nicht zu Boden! In meiner Version stellte ich mich dem wildgewordenen Reifen zuerst von vorn, um ihn dann in einer kühnen Wendung von hinten endgültig zu entschärfen! Das konnte man aus der Entfernung vielleicht nicht so gut erkennen.

Zweitens - auch wenn es pingelig anmuten mag: Winnetou musste sterben, nicht Old Shatterhand! Das hatte ich eben vor Augen - sollte mich der Reifen zerquetschen, in den Armen eines frommen Menschen mit dem letzten Atemzug noch zum rechten Glauben zurückfinden. Das wäre schön gewesen (natürlich nur literarisch).

9:48 AM


Goldbaer said...

Ok, es war Winnetou, der sich in den Schuss stellte. Was allerdings nichts daran ändert, dass das "Wunder von Ktis" die beste weblog-Strory seit langem ist.
Und Gscheiterl, wenn du mir so kommst, dann werd ich halt auch ein bisschen investigativ und erzähl der einstelligen Leserschaft, warum du wirklich mitwarst. Das dürfte auch für dich neu sein. Dein Vater borgte uns (wie du weißt) seinen Primarschlitten (damit wir was darstellen im Ausland) nur unter der Bedingung, dass wir dich mitnehmen und er seinen Urlaub genießen kann. Denn die Ruhe ist ihm heilig.

8:51 AM


Minkasia said...

Wirst schon wieder patzig, Schönwetterfreund?

Ok, deine Wundergeschichte hat ja in der Tat einen ganzen Kommentartsunami ausgelöst, aber das nimmt mir - gerade in meiner Funktion als Webmutti - noch lange nicht das Recht auf konstruktive Kritik! Wir müssen schon korrekt bleiben, sonst wird unsere Rede unglaubwürdig.
Und hast du nicht das teenagerhaft weichgezeichnete, von süßem Schmerz gefärbte Bild gesehen, das ich um meine Korrektur herum gezeichnet habe?

10:11 AM


Minkasia said...

Und wennst nu amoi so deppat tuast, hau i da aufn Kopf!

10:12 AM


Goldbaer said...

Schönwetterfreund tut weh, wo du doch genau weißt, dass ich nicht nur da bin, wenn freudig pocht dein Herz und du dich fragst: "Wem künd ich mein Entzücken?", sondern auch, wenn Gram und Schmerz dich drücken. Und das, obwohl meine eigenen Tage angestopft sind mit Belastungen und erschöpften Leuten, meine Kinder nie schick für mich gemacht werden, kein Mensch für mich Make-up nachlegt oder auch nur ein Band ins Haar knüpft oder während der kälteren Monate ein Kaminfeuer zum Entspannen vorbereitet ...

11:06 AM


Minkasia said...

Für den ganzen Haushaltskram ist doch die Mutter deiner Kinder zuständig! Aber wie du mit Freundesgram umgehst, musste ich gestern entdecken.
Da gibt's ja schon ein eigenes Schreiben zu. Mehr sag ich nicht!

11:17 AM